Nicht Lebensmüde Aber Lebenssatt
Wie will, darf und soll ich sterben?
Was geht Dir durch den Kopf beim Thema Sterbehilfe? Was löst das aus, wenn eine nahe Person, wie bei mir, meine Mutter, Dir sagt, dass sie sich entschlossen hat, mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden? Wie ich meinen Weg gefunden habe, damit umzugehen, als meine Mutter mir sagte, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, für immer Abschied zu nehmen.
Wer kennt mich?
Wer sind meine Freunde? Ich weiss nicht, wen in meinem Umfeld ich so bezeichnen soll. Menschen, die mich am besten kennen sind meine Frau und meine Mutter. Einen besten Freund habe ich mir zwar immer gewünscht, aber bis jetzt hat sich eine Bromance ergeben. Mein Leben wurde lange Zeit durch psychischen Missbrauch geprägt. Zusammen mit meiner Hochempfindsamkeit sind das denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Freundschaft. Ich vertraue nur sehr wenigen Menschen wirklich bedingungslos. Meine Mutter war eine davon.
Ich halte dich nicht zurück
Meine Mutter war die einzige Person, bei der ich sein konnte wie ich bin. Ich hatte keine Angst, korrigiert zu werden. In den letzten Jahren hat sich mich auch nicht mehr kritisiert sondern Ratschläge gegeben. Zu wem soll ich nun gehen, wenn ich über Schwieriges sprechen will? Ich ahnte, dass ihre Zeit nach dem Tod vom Vater gezählt waren. "Ich habe ein schönes Leben gehabt. Eigentlich könnte ich jetzt gehen. Denn es wird nur noch mühsam". Das hat sie immer wieder zu uns gesagt. Sie war nicht lebensmüde, aber satt vom Leben.
Durch meine eigene Geschichte weiss ich, wie belastend psychische und physische Schmerzen sein können. Wenn Du jeden Tag aufwachst und nur noch, geplagt von Leiden, auf den Abend zu warten um dann stundenlang wach zu liegen, kann ich verstehen, begreifen und fühlen, warum jemand ein solches Dasein abschliessen will. Trotzdem: "Ich halte dich nicht zurück obschon ich danach niemanden mehr habe, bei dem ich sein kann wie ich bin und niemand sein muss."
Taten statt Worte
Meine Mutter war nicht unheilbar krank. Neben körperlichen, altersbedingten Beschwerden hatte sie vor allem mit mentalen Herausforderungen zu kämpfen. Weil sie unbedingt selber entscheiden wollte, wann und wie sie gehen wird, meldete sie sich vor zwei Jahren bei Exit an. Ich unterstützte und bestärkte sie auf ihrem Weg und in ihrer Entscheidung.
Nach einem leichten Schlaganfall wurden aus den Worten plötzlich Taten. Damit Sterbehilfe aus dem Leben scheiden kann, muss man zwingend urteilsfähig und aus freiem Willen handelnd sein. Meine Mutter realisierte, dass das bei einem weiteren Schlaganfall nicht mehr der Fall sein könnte.
Als ich ihr, nach diesem Ereignis in die Augen blickte, sah ich darin ihr Ende kommen. Es überraschte mich nicht, als sie mir eröffnete, dass sie nun bei Exit angeklopft habe um ihren Worten nun Taten folgen zu lassen.
Der letzte gemeinsame Weg
Für mich war es keine Frage sondern ein Bedürfnis, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Seit dem Tod vom Vater war sie sehr viel unterwegs und unternahm unzählige Ausflüge. Mit einem guten Freund bereiste sie die ganze Schweiz. In den letzten Jahren wurde diese Freude aber immer mehr zu einer Belastung. Ihr Körper wollte lieber zu Hause bleiben, während dem ihr Geist immer noch nach Ausflügen verlangte, um der Wohnung zu entfliehen.
Darum fuhren wir ein letztes Mal zusammen auf eine Reise über den Vierwaldstättersee. Ich kochte noch einmal ihr Lieblingsgericht bei uns zu Hause. Es folgte eine weitere Reise über den Lötschberg nach Brig. An diesem Abend holte mich meine Frau bei meiner Mutter ab. Wir haben gemeinsam entschieden, dass das der endgültig letzte Abschied sein wird.
Ich hätte sie auch bis ins Sterbezimmer von Exit begleitet, war aber sehr froh und dankbar, dass ihr eine gute Freundin bereits vor langer Zeit zugesagt hat, mit ihr zu gehen.
Ich bin dankbar für Exit
Wenn ich zaubern könnte, wäre sie immer noch am leben und hätte Freude am Reisen und Leben. Dank Exit konnte ich mich aber bewusst, Schritt für Schritt von meiner Mutter verabschieden. Ich war ihr in dieser Zeit noch nie so nah seit meiner Kindheit. Es war ein Ende in Würde. Sie lag nicht in einem Bett irgendwo in einem unpersönlichen Spital und siechte vor sich hin. Es gab keine Demenz, die ihren Geist verschleierte.
Sterbehilfe ist kein Thema!
Was denkst Du über Menschen, die so aus dem Leben scheiden? Was fehlt ihnen, damit sie davon absehen? Wo und wie steht die Gesellschaft in der Pflicht, Sterbewilligen eine Alternative zu bieten? Ist Sterbehilfe für dich Mord (an dir selber) und das hat Gott bereits in den 10 Geboten verboten!
Ich habe mich in der letzten Zeit intensiv mit den Argumenten der Gegner vom assistierten Suizid auseinandergesetzt. Dabei habe ich viel erlebt, von der Verurteilung bis zu der Bevormundung von urteilsfähigen Menschen ist alles dabei. Auf gewisse Klischees gehe ich nun ein und möchte damit anregen, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen.
WWJD - Es gibt nur den einen schmalen Weg!
Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt. (Bibel Buch Hiob Kapitel 1, Vers 21). Du sollst nicht töten (Bibel 1. Mose 2. Buch - Exodus 20,13)
Mit diesen zwei Bibelstellen ist eigentlich alles gesagt. Der Herr ist der Schöpfer des Lebens, es steht nur ihm zu, es zu beenden. Sterbehilfe ist Selbstmord, also Mord an sich selber, und das ist verboten. Es steht schon so in der Bibel. Ende der Diskussion!
So kann man die Haltung von vielen Evangelikalen beschreiben. Aber genau dort, wo es für viele Gläubige keine Zweifel gibt, fängt aus meiner Sicht die Diskussion und eine offene ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema erst an. So ganz klar scheint es doch nicht zu sein, sonst kann ich mir die unzähligen Predigten nicht erklären, die das einfordern. Christen werden in vielen Fragen alleine gelassen und mit Bibeltexten oder besseren deren Interpretationen ruhig gestellt. Das Einzige was noch knapp toleriert wird, ist die passive Sterbehilfe. Also z.B. einem Menschen, dessen Tod in den nächsten Tagen eintreten wird, die Beatmungsmaschine abzustellen.
Die Katholiken lehnen Sterbehilfe ab. Das Argument von Bischof Marian Eleganti, man begleite die Menschen ist aus meiner Sicht sehr billig (Quelle). Wenn die betroffene Person das Mittel trinkt oder die Infusion öffnet, verlässt die katholische Seelsorgeperson den Raum. Das bezeichne ich als feige.
Was ich mir wünsche, ist eine ergebnisoffene Diskussion, bei der die Bibel nicht als unfehlbares Gesetz herhalten muss. Es gibt so viele Wege die Bibel zu interpretieren, wie es Lesende gibt. Niemand, auch nicht der kompetenteste Theologe, kann von sich behaupten, so wie er die Bibel liest, entspreche 100prozentig dem Willen Gottes. Die Schrift kann nicht mit dem Strafgesetzbuch gleichgesetzt wird. Selbst bei der Rechtssprechung gibt es einen Spielraum.
Ich finde die (christliche) Überheblichkeit etwas vom Schlimmsten, was es gibt. In der ZDF- Show 13 Fragen gelang es Philipp Mickenberger (der von den Real Life Guys), nicht, dem Bestatter Eric Wrede zuzugestehen, dass Menschen gibt, die in ihrer Lebenssituation einfach nicht mehr weiterleben wollen. Ein halbherziges: "Ich kann das zum Teil verstehen, ABER du (der Sterbehelfer) hast halt nicht erlebt, was ich erlebt habe." (Quelle)
Ich habe überhaupt nichts gegen bibeltreue, konservative Christen. Sie mögen noch so einen evangelikalen Lebensstil praktizieren. Für sie mag Sterbehilfe eine Sünde sein. Sie sollen daran glauben, dass Gott einen todgeweihten, kranken Menschen in der letzten Sekunde vor seinem Tod erretten wird. Ich akzeptiere das - sie können oder wollen das aber nicht.
Aber warum akzeptieren sie andere Standpunkte so schwer? Wenn der Glauben nicht versagen darf, wird es praktisch unmöglich, eine ergebnisoffenes Gespräch zu führen. Es darf nur die eine Lösung geben. Darum wird mit einem überheblichen, Sendungsbewusstsein versucht, den Gegenüber auf die richtige (christliche) Seite vom Leben zu ziehen. Dazu sind alle Mittel recht, auch solche, die in der Bibel eigentlich verboten sind. Wer gegen die heilige Schrift verstösst, darf verurteilt, gerichtet und gehängt werden. Beispiel: In Amerika wurden Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten, ermordet (Quelle)
Ist Sterbehilfe Selbstmord
In den Augen von einigen bibeltreuen, evangelikalen Christen wahrscheinlich Ja. Auch Angehörige bezeichnen den Entscheid oft so, und teilweise sogar als feige. Wenn wir aber die sterbewilligen Personen selber fragen, sagt die Mehrheit Nein. Es besteht ein grosser Unterschied ob jemand akut suizidal ist, oder ob er Bilanz zieht und sich eingehend überlegt, ob und wie er mit seinem Leben abschliessen will. Die meisten von ihnen würden sich nicht eine Kugel in den Kopf jagen oder von einer Brücke springen. Sie sind nicht lebensmüde sondern einfach nur lebenssatt. Ein Mensch der genug hat, muss nicht zwangsernährt werden. Jemand, der aus der Situation seinem Leben ein Ende setzen will, dem kann und soll geholfen werden. Genau da kommt Exit ins Spiel. Bevor sie jemanden in seinen Freitod begleiten, wird seriös und eingehend abgeklärt, warum die Person gehen will. Ist sie nicht sterbenskrank, wird noch genauer hingeschaut.
Zwangsernährung für Lebenssatte
Warum sollten Menschen, die genug gegessen haben, zwangsernährt werden? Wenn die Grossmutter beim Familienfest sich zurückziehen will, lassen wir sie gehen oder fesseln wir sie an ihren Stuhl? Warum sprechen wir den Menschen, die aus dem Leben scheiden wollen, ihre Mündigkeit ab?
Die Sterbewilligen wollen gar nicht sterben. Sie brauchen nur ein bisschen mehr Pflege, bessere Medikamente und mehr Besuche. Dann wollen sie weiterleben."
So etwas geben Politiker, wie auch Priester, evangelikale Prediger und andere Gegner von der Freitodbegleitung wieder. Jeder Mensch will doch leben, es kann und darf nicht sein, dass jemand sterben will, weil er satt ist vom Leben. Dabei wird die Person mit ihrer ganzen Lebenserfahrung, ihrem freien Willen und Entscheidung oft ignoriert.
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